Wann sind Sitzstreik und Blockade strafbar – und wann nicht (§ 240 StGB)?

Wer im Rahmen einer Demonstration oder zu dem Zweck, für seine politischen Forderungen Aufmerksamkeit zu erregen, einen Sitzstreik oder eine Blockade vor Gebäuden oder im Straßenverkehr durchführt, läuft Gefahr, wegen Nötigung gemäß § 240 StGB bestraft zu werden.

Eine Nötigung begeht, wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung bringt. Gewalt bedeutet eine körperliche, physische Einwirkung des Täters auf das Opfer. Drohung dagegen bedeutet das Inaussichtstellen eines Übels, auf das der Täter Einfluß zu haben vorgibt, also eine psychische, seelisch-geistige Einwirkung. Die Rechtslage war bis zum Jahre 1995 sehr streng. Allgemein ging die Rechtsprechung von einem sogenannten „vergeistigten“ oder „entmaterialissierten“ Gewaltbegriff aus und meinte, jeder Sitzstreik und jede Blockadeaktion sei eine Ausübung von Gewalt. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Jahre 1995 ist aber festgestellt worden, daß ein friedlicher Sitzstreik bzw. eine friedliche Blockade keine Ausübung von Gewalt darstellt und allenfalls eine Drohung sein kann (BVerfG, Beschluß vom 10.01.1995, Az. 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89 u.a., zu finden in JZ 1995, 778).

Ein Sitzstreik bzw. eine Blockade ist dann nicht strafbar, wenn die Ausübung der Drohung nicht verwerflich ist. Dies ist der Fall, wenn sich der Sitzstreik bzw. die Blockade unter dem Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als zulässige Ausübung staatsbürgerlicher Rechte bewerten lassen. Ziviler Ungehorsam ist – im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem – ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest oder durch aufsehenerregende Regelverletzungen zu begegnen. Voraussetzungen für das Vorliegen von – erlaubten – Handlungen zivilen Ungehorsams sind (nach BVerfG, Urteil vom 11.11.1986, Az. 1 BvR 713/83, 921, 1190/84, 33, 248, 306, 497/85, zu finden in NJW 1987 = BVerfGE 73, 206 ff., 259 und OLG Stuttgart, Beschluß vom 09.11.1990, Az. 3 Ss 571/90, zu finden in NJW 1991, 993): wenn die Blockade

  • vorher z.B. der Polizei bekanntgegeben wird,
  • in der Öffentlichkeit stattfindet,
  • gewaltfrei ist,
  • nur kurz andauert,
  • nur eine geringe Intensität hat,
  • bei einem Eingreifen der Polizei, z.B. durch Wegtragen der Demonstranten, widerstandslos beendet wird,
  • keine Unbeteiligten betrifft, sondern Personen, die zu dem Protestgegenstand einen Sachbezug haben, z.B. Werksangehörige,
  • den Dienstbetrieb der Blockierten nur geringfügig beeinträchtigt,
  • den Blockierten Ausweichsmöglichkeiten über andere Zufahrtswege oder Eingänge läßt,
  • Fernzielen dient, die nicht eigennützig sind und weder bestimmten Gruppen noch finanziellen Zwecken dienen, sondern von wesentlicher allgemeiner Bedeutung sind.

Die Rechtsprechung hat daher z.B. als strafbar angesehen, – unterlassen Sie daher derartige Handlungen:

  • eine Blockade, die einen aufrührerischen und gewalttätigen Verlauf nimmt (BGH, Urteil vom 23.11.1983, Az. 3 StR 256/83 (S), zu finden in NJW 1984, 931 = BGHSt 32, 165), 
  • ein friedlicher Sitzstreik auf Straßenbahnschienen, der über eine Stunde dauert und sich gegen Fahrpreiserhöhungen richtet (BGH, Urteil vom 08.08.1969, Az. 2 StR 171/69, zu finden in BGHSt 23, 46 ff.),
  • eine friedliche Blockade aller Eingänge einer Baustelle für eine militärische Anlage, die für 2 Tage geplant ist und nach 41 Minuten beendet wird, um gegen die Nato-Nachrüstung zu protestieren (OLG Koblenz, Urteil vom 29.10.1987, Az. 1 Ss 411/87, zu finden in NJW 1988, 720 f.),
  • eine friedliche Blockade einer Kaserne, die für eine lange Dauer geplant ist und nach 20 Minuten beendet wird, um gegen die Nato-Nachrüstung zu protestieren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.12.1985, Az. 2 Ss 334/85-196/85 II, zu finden in NJW 1986, 942 f.),
  • eine friedliche Blockade an einem Grenzübergang (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986, Az. 1 BvR 713/83, 921, 1190/84, 333, 248, 306, 497/85, zu finden in NJW 1987, 73 = BVerf-GE 73, 206 ff.),
  • eine friedliche Theaterbesetzung (BVerfG aaO),
  • eine friedliche Blockade eines Pressehauses, um die Auslieferung einer Zeitung, z.B. der „Bild-Zeitung“, zu verhindern (OLG Celle, Urteil vom 21.10.1969, Az. 3 Ss 228(69, zu finden in NJW 1970, 206 f).

In der Rechtsprechung ist streitig, ob die folgenden Blockaden strafbar oder erlaubt sind, – unterlassen Sie daher vorsichtshalber derartige Handlungen:

  • ein mehrmaliger Sitzstreik vor einer Militäranlage bzw. einem Atomkraftwerk für jeweils nur 15 bzw. 17 Minuten, um gegen Rüstung bzw. Atomkraftwerke zu protestieren (OLG Stuttgart, Beschluß vom 14.03.1984, Az. 1 Ausschl. 1/84 A, zu finden in NJW 1984, 1909 f., dagegen BayObLG, Urteil vom 29.09.1993, Az. 4 RR 92/94, zu finden in NJW 1995, 269 ff. und OLG Köln, Urteil vom 22.07.1986, Az. Ss 376/85, zu finden in NJW 1986, 2443 f.),
  • eine friedliche Blockade einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage für die Dauer von 1 Stunde, auch wenn die Blockierten nicht von den Demonstranten, sondern von der Polizei angehalten werden (OLG Köln, Urteil vom 27.04.1983, Az. 3 Ss 128/93, zu finden in NJW 1983, 2206 f. und OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.1987, Az. 2 Ss 171/86 105/86 III, zu finden in NStZ 1987, 368 f., dagegen BGH, Beschluß vom 21.03.1991, Az. 1 StR 3/90, zu finden in BGHSt 37, 350 ff.).

Die Rechtsprechung hat dagegen als erlaubt angesehen:

  • einen friedlichen Sitzstreik auf einer Straßenkreuzung für knapp 2 _ Minuten, um gegen die Gefahren eines Atomkrieges zu protestieren (OLG Koblenz, Urteil vom 27.06.1985, Az. 1 Ss 171/85, zu finden in NJW 1985, 2432 ff.),
  • eine friedliche Blockade einer Militäranlage für 6 Minuten, um gegen die Stationierung der Pershing-Raketen zu protestieren (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.02.1992, Az. 3 Ss 147/91, zu finden in NJW 1992, 2714 f.),
  • eine friedliche Sitzblockade einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage für 13 Minuten, so daß der Dienstbetrieb der Anlage nicht beeinträchtigt wird und ein Baustellenfahrzeug 10 Minuten lang nicht weiterfahren kann, als Protest gegen Atomkraftwerke (BayObLG, Urteil vom 01.10.1991, Az. Rreg 2 St 115/91, zu finden in NJW 1992, 521 f.),
  • eine friedliche Blockade eines Militärflugplatzes für 33 Minuten, wenn die Polizei dies 30 Minuten lang duldet und die Blockierten über einen Grünstreifen ausweichen können sowie eine Ausweichsmöglichkeit zu einer etwa 12 km entfernten Zufahrt vorhanden ist, um gegen die atomare Aufrüstung zu protestieren (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.08.1990, Az. 1 Ss 149/90 zu finden in NJW 1991, 53 ff.),
  • eine friedliche Blockade eines Militärflugplatzes für 30 bis 40 Minuten, wobei andere Zufahrtswege frei bleiben, als Protest gegen die atomare Aufrüstung (OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.08.1987, Az. 1 Ss 51/87, zu finden in NJW 1988, 716 f.),
  • eine friedliche Blockade eines Militärgeländes, wobei es eine andere Zufahrtsmöglichkeit gibt, um gegen die Aufstellung von Raketen zu protestieren (OLG Stuttgart, Beschluß vom 09.11.1990, Az. 3 Ss 571/90, zu finden in NJW 1991, 993),
  • eine friedliche Blockade eines Informationsstandes einer rechtsradikalen Vereinigung, weil nach Meinung des Gerichts diese aggressive, aber nicht gewalttätige Reaktion eine „angemessene, sozialethisch nicht zu beanstandende Antwort auf die rechtsradikale Provokation“ darstellt (LG Frankfurt/Main, Urteil vom 09.03.1982, Az. 50 Js 1602/80, zu finden in NStZ 1983, 25 f.).

 

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