Ist das Deutschlandlied strafbar (§ 86a StGB)?
Am 29.11.2003 wurde am Ende einer Demonstration in Lüneburg eine Tonbandkassette abgespielt, auf der das Deutschlandlied in allen drei Strophen zu hören war. Die Versammelten sangen das Lied mit. Der Einsatzleiter der Polizeikräfte vor Ort war daraufhin der Meinung, daß das Absingen des Liedes der Deutschen in allen drei Strophen den Straftatbestand des § 86a StGB (Verfassungswidrige Kennzeichen, - gemeint sind hier insbesondere nationalsozialistische Kennzeichen, wie das Hakenkreuz, die Sieg-Rune, das Kopfbild Adolf Hitlers und das Horst-Wessel-Lied) erfüllen würde und stellte die Tonbandkassette sicher.
Auf den Widerspruch des Beschuldigten hin hob das Amtsgericht Lüneburg durch Beschluß vom 15.12.2003, Az. NZS Gs 419/03, diese Beschlagnahme auf und ließ die Tonbandkassette dem ehemals Beschuldigten wieder zurückgeben. Das Gericht stellte in wünschenswerter Deutlichkeit u.a. fest:
„Die als Beschlagnahme anzusehende Sicherstellung entbehrt jeder Grundlage. Das Abspielen der deutschen Nationalhymne unterfällt nicht dem Straftatbestand des § 86a StGB. Das „Lied der Deutschen“ stellt kein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation dar, sondern ist die deutsche Nationalhymne, d.h. nationales Symbol, welches explizit in § 90a Abs. 1 Ziff. 2 StGB unter den Schutz vor Verunglimpfungen gestellt wird. Auch der Text der 1. Strophe unterfällt nicht der Vorschrift des § 86a StGB (…). Die deutsche Hymne ist nach ganz einhelliger Meinung das „Lied der Deutschen“ mit dem Text von Hoffmann von Fallersleben und der Musik von Joseph Haydn (…). Seit der Entscheidung des Bundespräsidenten Heuss aus dem Jahre 1952 ist dies anerkannt und kaum bestritten (…). Weiter ist einheitlich anerkannt, dass aufgrund der Entscheidung des Bundespräsidenten bei öffentlichen Anlässen, d.h. bei staatlichen Akten der Bundesrepublik Deutschland, lediglich die 3. Strophe des Deutschlandliedes als Text gesungen werden soll (…). Damit ist jedoch in keinem Fall der übrige Teil des Textes oder der Hymne als verboten anzusehen oder gar als Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation einzuordnen (…). Das Gericht zeigt sich zugegebenermaßen überrascht, dass nach Einschätzung der Polizei in Deutschland das Absingen der eigenen Nationalhymne offenkundig als Verwirklichung eines Straftatbestandes angesehen wird (…)."
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 07.03.1990, Az. 1 BvR 1215/87, zu finden in NJW 1990, 1985, festgestellt, dass nur die 3. Strophe des Deutschlandliedes unter den Schutz des § 90a StGB fällt, weil nur diese Strophe bei staatlichen Anlässen gesungen wird.